Ich wurde vor kurzem in meinem Mentoring-Programm für Frauen gefragt, ob denn Frauen im Business-Coaching andere Themen haben. Und ob denn Frauen die besseren Coaches für Frauen sind. Interessante Fragestellungen, die ich hier gerne einmal etwas beleuchten möchte.
Erstmal hab ich mich selbst gefragt: Was ist denn der Unterschied – wenn es denn einen gibt – im Coaching mit Frauen und Männern.
Rückblickend auf meine fast 20-jährige Tätigkeit als Leadership-Coach stelle ich fest:
Ja, Frauen haben noch mal andere Themen.
Grundsätzlich ist es allerdings so, dass es eine Vielzahl von Themen gibt, die im Business-Coaching bei Frauen und Männern zunächst einmal identisch adressiert werden. Ich will nachfolgend einmal eine exemplarische Auswahl der Themen auflisten, die von Frauen wie Männern als Anliegen genannt werden:
- Ich bin neu in der Führungsrolle. Wie gehe ich damit um, welche Aspekte gilt es zu beachten?
- Ich hab den Eindruck, beruflich stehenzubleiben und will analysieren: Wo stehe ich, was sind meine Stärken, wie kann es weitergehen, was ist der passende Weg?
- Ich habe den Eindruck, allem nicht mehr gewachsen zu sein, es ist zu viel Druck, es gibt zu viele Erwartungshaltungen.
- Wie schaffe ich es, meine Mitarbeiter und Teams bei den Veränderungen mitzunehmen?
- Wie schaffe ich es, meine Emotionen besser zu managen?
- Wie bekomme ich mehr Visibilität im Unternehmen?
Diese Themen finden sich wie gesagt gleichermaßen im Coaching bei Frauen und Männern.
Nun kommt das Aber ins Spiel:
Frauen zweifeln häufig sehr stark an sich: Bin ich gut genug für die Rolle? Kann ich das leisten? Hab ich die passenden Kompetenzen?
Ich kann mich nicht erinnern, solch selbstkritische Gedanken im Coaching je von einem Mann gehört zu haben.
Selbstzweifel führen dazu, dass sich diese Frauen unter ihrem Wert verkaufen, häufig keine klaren Entscheidungen treffen. Und insbesondere nicht klar kommunizieren. Um es bereits vorweg zu nehmen: Die mentalen Barrieren sind aus meiner Sicht die größten Hürden für die Frauen. Ich bin in verschiedenen Kulturräumen dieser Welt unterwegs und stelle fest, dass dies überall ein Thema ist. Diese mentalen Barrieren bilden daher häufig einen Fokus im Coaching mit Frauen. Auch wenn es nicht immer auf den ersten Blick das eigentliche Anliegen ist.
Ich will nachfolgend einmal die wesentlichen Aspekte bzw. Besonderheiten benennen, die ich aus meiner Erfahrung und auch mit Blick auf die aktuellen Studien in diesem Bereich als wesentliche Barrieren bei Frauen wahrnehme.
Innere mentale Barrieren
Vor einiger Zeit hat mir ein Konzernvorstand Folgendes erzählt: Er hatte ein Projekt initiiert, das für das Unternehmen wichtig war. Aus seiner Sicht kamen ca. gleich viele Männer wie Frauen für die Projektleitung in Frage. Er hatte allerdings den Eindruck, dass die Frauen wesentlich besser qualifiziert waren. Aber auf die entscheidende Frage, wer bereit sei, das Projekt zu leiten, meldeten sich fast ausschließlich die Männer. Die Frauen – bis auf eine Ausnahme – sorgten sich, ob sie wirklich fähig sind, die Projektleitung zu übernehmen.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Nein? Dann müssen Sie sich schon mal nicht mit dieser typischen Blockade von Frauen beschäftigen: der häufig zu hohen Anspruchshaltung an sich selbst und damit einhergehend dem Selbstzweifel.
Vielleicht fragen Sie sich nun: Warum ist das so?
Für vieles muss die Steinzeit herhalten. Häufig werden ihr auch angeborene Unterschiede und jahrtausendalte Prägung zugeschrieben. Nur Männer waren die Jäger? Eine in der Öffentlichkeit kaum umstrittene Behauptung. Trotzdem ist sie gewagt, denn ob nur oder vorwiegend Männer in der Steinzeit jagten, weiß kein Mensch und gibt die Faktenlage nicht her. Miriam Haidle z. B., Forscherin an der Universität Heidelberg, verweist auf zahlreiche Belege für jagende Frauen aus der ganzen Welt. Aber von solchen Studien wird kaum gesprochen.
Menschen wurden schon immer maßgeblich durch ihre Sozialisation geprägt. „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“, wusste schon Wilhelm Busch. Was nichts daran ändert, dass die Sozialisation von Mädchen auf Bescheidenheit setzt. Dies ist weit verbreitet auf diesem Globus. Beobachten lässt sich das insbesondere dort, wo patriarchalische, autoritäre Kulturen den Mädchen und Frauen klare Do’s und Dont’s vorschreiben
Männer netzwerken anders
Man kann zwei Arten von Netzwerken unterscheiden:
- Instrumentelle Beziehungen. So nennt man die vor allem beruflich „nützlichen“ Kontakte, über die man karriereförderliche Informationen und Vorteile erhalten kann.
- Emotionale Beziehungen, in denen man sich zu Themen des Privatlebens austauscht und „etwas für die Seele” tut
Die meisten Männer und Frauen scheinen auf unterschiedliche Weise mit diesen beiden Beziehungstypen umzugehen.
Männer pflegen häufig mit der gleichen Person – meist ebenfalls ein Mann – beide Beziehungsarten. Frauen führen dagegen häufiger zwei säuberlich getrennte Netzwerke.
Das Resultat ist, dass ein Mann eine Stunde Freizeit doppelt nutzt. Wenn er mit Kollegen ein Bier trinken geht, redet er mal über Geschäftliches und mal über die Pubertät der Kinder. Er investiert in Sozialleben und Karriere.
Eine Frau steht hier meist vor der Entscheidung, ob sie etwas für ihr Seelenleben oder für die Karriere tut. Oft geht eine Frau nicht mit den Kollegen zum After Work Drink, denn Frauen haben statistisch gesehen weniger Freizeit als Männer. Das liegt daran, dass sie immer noch mehr unbezahlte Familienarbeit leisten. Hinzu kommt, dass für sie das Thema Work-Life-Balance einen anderen Stellenwert hat.
Die Folge ist, dass Frauen weniger Zeit für beruflich nützliche Netzwerke aufbringen. Das führt wiederum dazu, dass ihre instrumentellen Beziehungen weniger stark und damit schlicht weniger nützlich sind. Frauen erhalten so weniger Insider-Informationen und Kontakte und sie haben seltener Fürsprecher.
Männernetzwerke in der Kritik
Gerne werden heutzutage in der öffentlichen Diskussion Männernetzwerke kritisiert. Der Begriff „old boys network“, insbesondere wenn es sich um Männer mit weißer Hautfarbe handelt, ist in der Gender-Debatte ein gerne zitiertes Klischee. Das mag durchaus ein Thema sein. Es wurde auch bereits von bekannten Führungspersonen wie beispielsweise Thomas Sattelberger bestätigt. Allerdings muss man einfach mal konstatieren, dass es ein weltweites Thema ist, unabhängig von der Hautfarbe. Und auf anderen Kontinenten wesentlich stärker ausgeprägt als in Europa.
In der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit wird die Schuld gerne den anderen zugewiesen. Frauen sind jedoch selbst Teil des Problems. Beim Thema Netzwerken beispielsweise empfinden es viele Frauen als „Beziehungsmissbrauch“, wenn sich instrumentelle und emotionale Zwecke bei Beziehungen vermischen. Männer (kulturübergreifend!) können in der Regel solche Befindlichkeiten nicht nachvollziehen. Daher ist es so, dass Frauen zwar oft viele Menschen kennen, aber es ablehnen, andere gezielt um einen beruflichen Gefallen zu bitten.
Und jetzt sind Sie gefragt: Wie netzwerken Sie? Unterscheiden Sie zwischen emotionalen und instrumentellen Kontakten?
Mikropolitisches Verhalten und Moral
Wer neu in einem Unternehmen ist und eine Führungsrolle übernimmt, muss erstmal die Unternehmenskultur verstehen. Er tritt in ein mikropolitisches Kräftefeld ein. Das heißt: Es gilt erst einmal, die Spielregeln verstehen zu lernen. Jede Organisation, jedes System weltweit ist de facto ein komplexes Geflecht von Einfluss-Versuchen und erstmal ein nicht sichtbares Feld. Es ist nicht unbedingt das, was vordergründig besprochen wird und findet eher im informellen, unsichtbaren Bereich statt.
Frauen hinterfragen gerne erstmal sehr stark mikropolitisches Handeln, da sie Einflussnahme für moralisch verwerflich halten. Allerdings geht es in jeder Organisation um Interessen und Einflussnahme. Wer das negiert, macht es nicht besser und ist auch moralisch nicht besser.
Ich sehe noch einige weitere Aspekte, die aber den Rahmen dieses Blogartikels sprengen würden.
Coaching von Frauen für Frauen
Ergibt es in Anbetracht der eben aufgeführten Besonderheiten im Coaching mit Frauen mehr Sinn, dass weibliche Coaches die Sparringspartner und Mentoren für die weiblichen Coachees sind? Das liegt immer im Auge des Betrachters. Ich selbst habe mich sowohl für weibliche als auch männliche Mentoren entschieden und war bei diesen gut aufgehoben.
Wenn mich Unternehmen für das Coaching von weiblichen Führungskräften buchen, bekomme ich häufig die Aussage zu hören, dass die Coachees eine Frau bevorzugen. Natürlich müssen auch die spezifischen Anforderungen zutreffen, wie beispielsweise: Habe ich als Coach Erfahrung im internationalen Kontext oder verfüge ich selbst über Führungserfahrung? Und last but not least ist es einfach so, dass der persönliche „Fit“ stimmen muss. Die Chemie ist in der finalen Auswahl ein wichtiges Kriterium.
Mein persönliches Fazit: Wenn es um die spezifischen, hier im Blog aufgeführten Themen geht, präferieren Frauen einen weiblichen Coach. So kenne ich das aber übrigens auch bei bestimmten Anliegen von Männern. Manchmal ist dann eben ein männlicher Coach der passendere Fit, weil sich der männliche Coachee dann schlichtweg besser aufgehoben fühlt.
Unabhängig vom Geschlecht: Ein Coach, der keine ausreichende Erfahrung in der Wirtschaft hat, ist meines Erachtens nicht ideal für Frauen und Männer, die ein berufliches Anliegen haben.